Neues Leben im Gutshaus

Peter Kropmanns

 

Voici un article paru dans le Frankfurter Allgemeine Zeitung du 16 janvier 2023, signé de notre ami Peter Kropmanns. Il présente de façon synthétique au public germanophone le rapport de Cezanne au  Jas de Bouffan et son devenir dans la perspective de l’année 2025, date de son ouverture au public, de l’installation du Centre cézannien de recherche et de documentation dans la ferme attenante et de la grande exposition Cezanne en cours d’organisation au musée Granet.

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Transcription du texte publié dans Frankfurter Allgemeine Zeitung, Feuilleton (culture), lundi, 16 janvier 2023, n° 13, p. 12.

Neues Leben im Gutshaus

Das Jahr 2023 beginnt in Südfrankreich mit ambitionierten Plänen für Cezannes Jas de Bouffan in Aix-en-Provence

 Oft sind für die in der „Provinz“, also im restlichen Land lebenden Franzosen „Snobismus“ und „Paris“ Synonyme. So auch für Philippe Cezanne. Er ist sicher, daß der zur Norm gewordene, chic aussehende Strich über dem ersten E seines Familiennamens nur eine Erfindung der Hauptstadt sein kann – und läßt den Akzent jetzt weg. Sein Urgroßvater, der Maler, habe nie einen accent aigu über seinen Namen gesetzt.

Der heute Zweiundachtzig­jäh­rige in der Provence lebende Nachkomme geht auch gegen andere Paul Cézanne, pardon, Cezanne betreffende Mythen an –  der des unerbittlich harten Vaters Louis-Auguste, der der schwierigen Ehe mit Hortense, der des endgültigen Bruchs mit Schulfreund Émile Zola. Philippe Cezanne hat daraus das Buch „Paul Cezanne dépeint par ses contemporains“ (Fages Editions, Lyon 2021, 231 S., zahlr. Abb., 25 €) gemacht.

Es gilt den sozialen Kontakten seines 1839 in Aix-en-Provence geborenen und aufgewachsenen sowie 1906 dort gestorbenen Ahnen und ist eine Art „Who’s who“, das neben den Eltern des Malers eine seiner Schwestern, seine Frau, seinen Sohn, viele Jugend- und Künstlerfreunde, aber auch Kunsthändler, -kritiker und -sammler berücksichtigt – und ihre Äußerungen über den Maler. Der Urenkel hat dafür aus dem Fundus schriftlicher Dokumente wie mündlicher Überlieferungen der Familie geschöpft und führt nun zu Adressen in Aix-en-Provence, die längst zu Pilgerstätten geworden sind: Vom Collège Bourbon (jetzt Mignet), wo Paul und Émile die Schulbank drückten, über die Wohnhäuser an Cours Mirabeau und Rue Boulegon bis zum Atelier am Chemin des Lauves und, etwas höher am Hang, dem Terrain des Peintres, von dem aus die majestätische Montagne Sainte-Victoire nicht zu verfehlen ist.

Urenkel Philippe Cezanne begleitet aber auch zu dem demgegenüber seit vielen Jahren unzugänglichen Landsitz der Cezannes, dem Jas de Bouffan. Der stattliche Gutshof auf baumbestandenem Areal lag einst vor den Toren der Stadt und ist von der seitdem gewachsenen Stadt umbaut worden. Ex-Filzhutfabrikant, dann Bankier Louis-Auguste Cezanne hatte das Terrain mit seinem im 18. Jahrhundert erbauten Herrenhaus vom Typus der provenzalischen Bastide 1859 erworben.

Sohn Paul war damals schon zwanzig Jahre alt, studierte lustlos Jura und fragte sich, was aus ihm werden solle. Für den Vater kam nur der Eintritt ins Bankhaus in Frage, doch erlaubte er seinem einzigen Sohn, im Jas seiner Leidenschaft des Zeichnens und Malens nachgehen zu können. Mehr noch, Paul durfte den großen Wohn- und Empfangsraum im Erdgeschoß in Beschlag nehmen und hier großformatige, als Raumdekoration konzipierte Gemälde installieren. 1882 genehmigte Louis-Auguste die Einrichtung eines Ateliers unter dem Dach.

Damals hatte der längst Künstler gewordene Paul Cezanne auch schon draußen vor der Tür des Hauses gemalt: die nobel und zugleich einfach wirkende Bastide, die benachbarten Wirtschaftsgebäude, die auf sie zu führende Kastanienallee und das einen Steinwurf entfernt liegende Bassin mit den Skulpturen am Rand.

Wir können nur ahnen, wie schwer es dem Maler gefallen ist, das alles aufzugeben. Nach dem Tod der Eltern waren komplizierte Erbverhältnisse entstanden, die dazu zwangen, sich 1899 von Haus und Hof zu trennen. Der Jas war dann lange in fremdem Privatbesitz, bis ihn die Stadtverwaltung von Aix-en-Provence 1994 und 2018 schrittweise übernehmen konnte, aber mangels eines Nutzungskonzepts leerstehen ließ.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits die Société Cezanne formiert, eine gelehrte Gesellschaft zur Intensivierung der Forschung über Leben, Werk und Schauplätze des Malers. Motor des Unternehmens, das schon einiges publiziert hat und demnächst 25jähriges Bestehen feiern kann, sind ihr Präsident Denis Coutagne und ihr Ehrenpräsident Philippe Cezanne. Sie beide und die gut siebzig internationalen Mitglieder der Gesellschaft haben seitdem die Zukunft des Jas zu einer Priorität erklärt und die von langwierigem Ringen um ein Nutzungskonzept geprägten Entscheidungsprozesse im Rathaus mit viel Geduld begleitet. Nun hat die Aixer Stadtverwaltung, die zunächst nur die Bausubstanz sichern sowie Dach und Fassaden sanieren ließ, auch das Innere des Hauses in Angriff genommen. Restauratoren haben in vielen Zimmern wertvolle Stuckatierungen des 18. Jahrhunderts und mehrere Schichten Wandbemalungen und Tapeten späterer Zeit freigelegt und gesichert.

Ziel ist es, den Jas mit neuem Leben zu erfüllen und dem Publikum zu öffnen. Ausstellungen mit originalen Werken düften aus konservatorischen Gründen kaum gezeigt werden können. Doch läßt sich das Haus für Besucher herrichten, um die Geschichte des Anwesens und seiner Bedeutung für den Künstler bei Führungen zu erzählen sowie mit zeitgemäßen – audiovisuellen und punktuell vielleicht immersiven – Mitteln vor Augen zu führen. Die Société Cezanne wird in den angrenzenden Wirtschaftsgebäuden Räumlichkeiten beziehen, um hier eine Cezanne-Dokumentations- und Forschungsstelle mit Bibliothek und Lesesaal einzurichten und über den Geist des Hauses zu wachen. Das riesige Gelände um die Bastide herum erlaubt den Empfang von Besuchern, die in einem Gartenlokal bewirtet werden könnten.

Eine App, die einzelne Standpunkte und Blickachsen mit hier entstandenen Werken in Verbindung bringt, wurde bereits erprobt. Damit ist freilich eine Gratwanderung verbunden, denn die Atmosphäre des Jas verträgt keine Anstürme; Kontingentierung durch Zeitfenster könnte eine Lösung sein.

Auftrieb erhielt das Projekt zuletzt durch Sophie Joissains. Die 2021 in ihr Amt gewählte Bürgermeisterin hat schnell die Bedeutung des Jas de Bouffan für den Maler, sein Œuvre sowie für das kulturelle Erbe und den Tourismus der Stadt erkannt. Die Kommune hat nämlich auch ein Synonym: Cezanne.

Im Verein etwa mit Stadtplanungs- oder Denkmalschutzbehörden sowie der Société Cezanne sollen die Sanierungsarbeiten schon Anfang 2023 intensiviert und das Haus 2025, wenn das städtische Musée Granet eine große Cezanne-Ausstellung zeigt, der Öffentlichkeit übergeben werden.

PETER KROPMANNS